Das Zittern im Universum

Jenseits des Horizonts_ Die Installation „Second Planet“ von Jakob Mattner
im Kunstlager Haas


von Rüdiger Schaper, DER TAGESSPIEGEL, 7. August 2021, S. 26


Alexander von Humboldt eröffnete den zweiten Band seines „Kosmos“-Werks mit einem wunderbaren Satz: „Wir treten aus dem Kreise der Objekte in den Kreis der Empfindungen.“ Stets war der poetisch hochbegabte Wissenschaftler auf der Suche nach „Naturgemälden“, in denen objektive Betrachtung und subjektives Erleben zusammenfließen und eine strenge Trennung von Kunst und Wissenschaft unterbleibt.

Ähnliche Überlegungen und Empfindungen treiben den 1946 in Lübeck geborenen, in Berlin lebenden Jakob Mattner an. Seine Bilder folgen der Natur und schaffen in den schönsten Folgen Transzendenz. Mattner arbeitet konzeptuell und in Serie, aber das verschlägt nicht die ästhetische Wahrnehmung. Im Kunstlager der Galerie Michael Haas bespielt Mattner drei große, hohe Räume. „Second Planet.“ Der Titel der Ausstellung könnte bedeuten, dass die erste Welt, in der wir leben, in der Kunst eine zweite hat. Diese zweite Welt weitet das Bewusstsein für die erste.

Farne haben es ihm angetan. Mattners Pflanzenbilder erinnern an sehr frühe Fotografie; er malt mit Lack auf Papier. Die Farne wirken wie Unterwasser- aufnahmen, strahlen Kühle aus. Entstanden sind diese Bilder in einem heißen Sommer in Brandenburg. Sie lassen zugleich Nähe und Distanz entstehen zur einheimischen Flora: Farne gibt es überall, sie sind so etwas wie eine Urform, filigran, aber auch widerstandsfähig. Von Oliver Sacks gibt es ein berührendes Buch über Menschen, die sich den Farnen und der Jagd auf seltene Exemplare verschrieben haben, „Die feine New Yorker Farngesellschaft. Eine Reise nach Mexico“.

Mattner las es mit Begeisterung. Seine Reise führt zu Akanthus, Farn und Nessel nicht weit von Berlin. Es gibt eine direkte Verbindung zu seinen schwebenden Glasobjekten und Installationen, für die er bekannt ist. Auch die Blätter „sind für mich Lichtarbeiten. Pflanzen sind diejenigen Lebewesen, die über Photo- synthese das Licht in Materie umwandeln.“

Mattner arbeitet mit dem Element, das nur als Abbild fassbar ist: Licht. Gras spiegelt sich auf einer Wasseroberfläche, Schilfgras in einem gefrorenen See. Oder sind es Sprünge auf einem geborstenen Glas? Mit Glaskörpern lässt sich Licht einfangen. Glas arbeitet, steht unter innerer Spannung. Deshalb wäre die Bezeichnung Stillleben hier nicht zutreffend. Es liegt ein leises Zittern in diesen nature morte. Eines Tages entdeckte der Künstler alte Lochplatten aus Metall, Vorläufer der Schellack-Schallplatte. Sie wirken wie Monde, Teile eines planetarischen Systems. Mattner nimmt sie als Vorlage für seine Arbeiten auf Japanpapier. Wiederum verwendet er Schellack, was auf die vor über hundert Jahren noch als revolutionär geltenden Tonträger der Caruso-Ära verweist.

Eine rote Sonne schwebt vor einem dunkleren, perforierten Himmelskörper. „Transit“ heißen solche Bilder, sie spielen mit Sphärenmusik. Man hört sie in der tiefen Stille, die diese Konstellationen ausstrahlen.

„Der ferne Klang“ bezeichnet eine zuvor entstandene Serie von Mondphasen, eine Verbeugung vor Franz Schreker und seiner gleichnamigen Oper. Der Vater des Komponisten war ein Fotopionier. Mattner bringt Klang und Licht zusammen. Der Galerist Rudolf Zwirner sieht es so: „In seinen bewussten Umgang mit Normen, die seit Jahrhunderten gelten, bringt er die Norm seiner eigenen Zeit. Er formuliert das Licht anders, neu. Er bricht es auf magische Weise und schafft dadurch immer wieder sich verändernde Räume.“ Zwirner lernte Mattners Werk 2018 bei einer Ausstellung in Polen kennen. Torun ist die Geburtsstadt des Astronomen Nikolaus Kopernikus. Er beschrieb die Bewegungen der Planeten, die Erde konnte demnach nicht im Mittelpunkt stehen. Das passt gut ins Bild.

Im dritten Raum des Kunstlagers wartet eine Überraschung, nun namentlich der „Second Planet“, eine Installation auf über zehn Metern. Ein Bild erscheint vibrierend auf einer hoch empfindlichen Folie. Ein Luftstrom erzeugt Bewegung. Wieder ein rötlicher Planet, eine Art Spiralnebel über Wüstenlandschaft. Man schaut hinein, um sich zu verlieren. Kein Horizont bremst den Flug.

„Second Planet“ ist ein kinetisches Panorama. Jeden Augenblick könnte eine intergalaktische Flotte einfliegen, während im unteren Bereich viel Platz wäre für einen Spätwestern oder ein Drama der Vorzeit. Die Fantasie bevölkert die herausfordernde Leere mit vertrauten Kinobildern, Steht man länger davor, verschwinden die imaginären Haltepunkte. Sieht so das Jenseits aus?


-Kunstlager Haas, Lise-Meitner-Str. 7-9, bis 31. August nach Vereinbarung